In einer Zeit, in der ich für meine Gesundheit etwas Zeit geschenkt bekommen habe, sind die täglichen Spaziergänge in den umliegenden Auen eine willkommene Abwechslung etwas Vitamin D an meine Haut zu lassen und der Entfaltung meiner Erkrankung keinen unnötig größeren Raum mehr zu geben. #byebyematilda

Trotz Kälte, Regen oder Schnee lernte ich bei diesen Erkundungen das Naturschutzgebiet rund um unser Heim erst wirklich kennen. Denn die 15 Jahre zuvor hatte ich mir, aufgrund zu vieler Aufgaben, kaum Zeit genommen, die Schönheit der unberührten Vegetation im Einklang mit einer dicht gedrängten Population verschiedenster Tierarten wahrzunehmen. Besonders war ich von jenen beeindruckt, die speziell im Federkleid mit ihren vielfältigen Kehlchen unendliche Symphonien in den Wind komponieren konnten. Meine Augen wurden achtsamer für neue Bildkompositionen und Details, die zuvor damit ausgelastet waren, möglichst viele Reizen für Bruchteile einer Sekunde aneinandergereiht vor der Linse abzulichten, ohne dabei Pausen des Innehaltens einzufordern.

In den vier aufeinander folgenden Wintermonaten teilte ich unterschiedliche Wege mit einer Vielzahl an Menschen, die durch Corona entschleunigt, die Zeit im Freien verbrachten. Zurück zur Natur, da uns viele Dinge aufgrund der Pandemie verwehrt blieben. In den Auwäldern waren Bäume, Sträucher und Lianen noch in einen kargen Winterschlaf gehüllt und ermöglichen tiefe Einblicke in das Innenleben vernetzter Baum- und Strauchlandschaften. Ein klarer Blick hinter die Pflanzenpracht, die im Frühling durch Bärlauch und frische Triebe unterschiedlicher Pflanzen wieder zu neuem Glanz aufblüht und dann mit dieser Pracht versteckt, was der Erholungssuchende aus so manchen Regionen im Naturschutzgebiet gemacht hat. Es geht um die Hinterlassenschaften jener Erholungsuchenden! Wenn man bedenkt, dass es rund um dieses Gebiet auf öffentlichen Wegen sehr viele Mülleimer gibt, die regelmäßig von der Stadtverwaltung geleert werden, so ist das vorgefundene Resultat dieser Maßnahmen zur Erhaltung von natürlichen und unberührten Erholungsgebieten einfach nur eine bittere Pille. Und hier sind definitiv nicht das System oder die Organisation schuld, die sich um Maßnahmen für Sauberkeit und Schutz solcher Lebensräume bemühen, sondern jeder einzelne Mensch, der es in seiner Welt verabsäumt, Werte für die selbstverständlich erscheinenden Dinge zu entwickeln.

Die im Grunde erholsamen Schritte wurden für mich immer aufwühlender, stets an diesen vermüllten Zonen vorbei zu gehen. Immer mit der offenen Frage, warum diese Gegenstände im Wald oder an den Wanderwegen zurückgelassen wurden. Trotzdem tat auch ich sehr viele Monate lange nichts, bis ich mir selber eine Aufgabe stellte.

Ich beschloss, Müll einzusammeln und ihm eine ordentliche Abfuhr zu erteilen. Bei jedem Spaziergang fotografierte ich gefundene Gegenstände im Wald, die dort definitiv nichts zu suchen hatten. Hob die Fundstücke auf und entsorgte diese am nächstgelegenen Mülleimer meiner Wegstrecke. Für jeden Gegenstand zählte ich die Schritte bis zum nächsten Mülleimer und dokumentierte damit alle Bilder zu einer Fotoreihe. 

Warum? 

  • Weil ich Zeit hatte und nicht mehr ohne Handeln vorbei gehen konnte. 
  • Weil ich das Potential eines kleinen Kunstprojektes sah, da ich mit meinen Händen aktuell kein anderes erschaffen konnte. 
  • Um ein Statement für die Zukunft zu setzen und Aufmerksamkeit für ein Problem zu erregen, welches sehr leicht gelöst werden könnte.
  • Weil ich mich jeden Tag daran erinnern wollte, dass wir achtsamer mit uns und unserer Umwelt umgehen sollten, egal ob Mensch, Tier oder Natur. 

Nach neun Tagen gelang es mir nicht mehr, nur einen Gegenstand aus dem Wald zu entsorgen. Immer öfter hatte ich nun einen kleinen Sack dabei, der meist mit den herumliegenden Getränkebehältern (Dosen und Flaschen aller Art) befüllt war und neben dem Hauptakteuren nicht weiter für das Projekt dokumentiert, aber dafür entsorgt wurde. Ziel und Herausforderung war es nun auch, jeden Tag immer neue Gegenstände zu finden, die den bisher gefundenen nicht ähneln sollten. Dafür ließ ich die, von den vielen Spaziergänger*innen ausgetretenen Trampelpfade hinter mir, um mir für die Suche eigene Wege zu ebnen. Und es hat sich gelohnt, nicht in die Fußstapfen anderer zu treten, denn dadurch kamen einige Fundstücke zu Tage, die unerwartet interessant und überraschend waren und nicht selten Neugierde aufkeimen ließen, welche Geschichte diese Gegenstände wohl an diese Fundstelle gebracht hatten. 

Es gab auch Müllansammlungen an Hotspots gut besuchter Wege und Seeufern, die bewusst zurückgelassen wurden, um auch andere Menschen auf die Verschmutzung aufmerksam zu machen oder diese vielleicht sogar zu motivieren, sich an einer Müllbeseitigung zu beteiligen. Oder mit jenen Menschen am gleichen Wegesrand ins Gericht zu gehen, wenn sich diese von mitgebrachtem Müll beobachtet entledigen wollen. Vorgänger*innen von mir hatten mit Botschaften an Bäumen für Aufmerksamkeit gesorgt und dazu aufgerufen, die Natur vor Müll zu bewahren und die Tierwelt zu schützen. Solche Botschaften waren auch an den jeweiligen „Tatorten“ zu finden. Leider mit wenig beeindruckender Wirkung, wenn man sich im engen Radius aufmerksam umsah. Schade.

Die Bilder repräsentieren die Funde von 30 aufeinanderfolgenden Tagen im April 2021 und bieten einen überzeugenden Eindruck, dass ein Umdenken und Handeln notwendig ist. In 42 Stunden mit fast über 160 km konnte ich 168 Gegenstände dokumentieren und viele mehr davon zusätzlich entsorgen. Als Einzelperson können wir lediglich auf Missstände aufmerksam machen, benötigen aber schlussendlich einen gemeinschaftlichen Ansatz und Überzeugungsarbeit, das Problem langfristig zu beseitigen. Reflektierend betrachtet, ist aber nicht jedes Fundstück tatsächlich einem Umweltsünder zuzuschreiben, denn das wäre wohl zu oberflächlich. So zumindest meine Interpretation, die ich aus dieser Zeit mitnehme. 

Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich unter den Fundstücken einige Gegenstände befinden, die einzelne Personen im Einklang mit der Natur, während körperlicher Bewegung oder im intensiven Gesprächsaustausch mit anderen Menschen unbewusst verloren haben und den Verlust erst viel zu spät registriert oder gar nicht bemerkt haben. Ist uns das nicht allen schon mal passiert?

Zum Beispiel, wenn Hunde im spielerischen Umgang mit ihren Weggefährten ihr Lieblingsspielzeug im Dickicht nicht wiederfinden und mit gesenktem Kopf im Strauch umher irrend auch noch ihr Geschirr verlieren. Ein leidendes Tier, das den Verlust seines Spielzeugs ebenso empfindet, als hätten wir Menschen unseren Glücksbringer verloren, schleicht in Traurigkeit gehüllt dahin. Eine plausible Geschichte, wäre da nicht die ewige Diskussion um das Gackerl-Sackerl, welches von sehr vielen Hundebesitzern tatsächlich angewendet und entsorgt wird. Wären da nicht wieder diejenigen, welche das gefüllte Sackerl in Weitwurf-Manier lieber in den Sträuchern auf Augenhöhe provozierend platzieren. Wie würde Monika Gruber sagen? >>Ein Volldepp eben<< Gendern lohnt sich hier definitiv nicht. 

Wenn Stativ und Fernrohr auf der Gegenseite eines FKK Badebereichs zurückgelassen wurden, zeugt dies offensichtlich für ein fluchtartiges Verlassen des Terrains und trotz naheliegender Anmutung für das Naturschutzgebiet war wohl eher kein Birdwatching das Ziel. Das Handwerk ist dem Spanner vorübergehend gelegt. Gut für alle die nun friedlich ihrem Sonnenbad nachgehen möchten.

Blaue und schwarze Übungspatronen, die im gesamten Naturschutzgebiet in Unmengen verstreut zu finden sind, erinnern an unnötig kriegerische Handlungen der nahegelegenen Kaserne. Hier wäre ein neuerlicher Streifzug des Bundesheeres mit Müllsäcken anstelle schwerer Rucksäcke bewaffnet eine ideale Gelegenheit, den Kampf gegen die selbst verursachte Plastikverschmutzung aufzunehmen. Wäre das nicht ein prägendes Zeichen für die Friday for Future Bewegung, wenn bei einer solchen Aktion auch noch weiterer Müll als Wiedergutmachung mit gesammelt werden würde?

In den Wäldern mit Freunden Baumhäuser zu bauen, lässt jedes Kinderherz wohl höher schlagen. Irritierend nur, wenn die Kinder mitten im Wald ein Lagerfeuer anzünden, um zu grillen und danach den kompletten Müll an der Feuerstelle zurücklassen. Ein Signal dafür, wie wichtig die Vermittlung von Werten und die Aufklärung über mögliche Gefahren ist.

Die Spuren krimineller Handlungen, wenn Fahrradschlösser für einen Diebstahl durchtrennt oder Zeitungsständer für etwas Kleingeld aufgebrochen und im Wald nach der Plünderung entsorgt werden, sind einfach nur ärgerlich. 

Viele mit Bauschutt gefüllte Gruben im engen Gestrüpp, die mit einem Kraftfahrzeug aktuell gar nicht erreichbar wären, lassen viele Fragen aufkommen. Wenn Fundstücke an einen früheren Erdkeller erinnern, da beispielsweise Bierflaschen einer Brauerei zu Tage gebracht werden, die es bereits seit über 40 Jahren nicht mehr gibt. Wenn wahre Geschichten leider mit den Trümmern begraben bleiben, da die verrosteten Überreste keinen Aufschluss mehr auf vergangene Zeiten und die damit verbundenen Lebensumstände Rückschlüsse zulassen. Wie spannend und aufregend die Suche nach unaufgelösten Rätseln doch ist. Diese bemerkenswerten Fundstücke brachten für mich dann auch die notwendige Motivation nach 21 Tagen, um den Endspurt aufregend zu gestalten.

Und dann wäre da noch das glanzlose Problem von Getränkedosen, Flaschen, Taschentüchern, Zigarettenschachteln und sonstigen Verpackungen oder Alltagsmüll, die wirklich einen Großteil der Verschmutzung ausmachen. Geballtes Aufkommen an jenen Orten, die an Wochenenden für bewegende Fotos auf Social Media Kanälen überlaufen werden, um viele Likes und Kommentare zu erhaschen. Die Pflanzenpracht ein idealer Filter für eine perfekte Ablichtung in Sommermonaten, wo von den Problemen dahinter nur mehr wenig erkennbar ist.

Ich denke, die folgenden Fotos sprechen für sich und jeder darf sein eigenes Resümee daraus ziehen. Wie die Fotoreihe nun weiter verarbeitet wird, erzähle ich im nächsten Blogbeitrag.

Hier ein paar Beispiele von Fundstellen, die immer noch auf ihre Entsorgung warten.  Mögen noch viele andere kommen, die sich für diese Arbeit engagieren wollen.