Wie im letzten Blogbeitrag bereits angekündigt, geht es in diesem zweiten Artikel um die weitere Verarbeitung der im Vormonat entsorgten bzw. fotografierten Fundstücke aus den umliegenden Auwäldern. Vielleicht ist das Wort “Fundstücke” hierfür sogar irreführend, da die meisten Gegenstände eher Müll zuzuordnen waren. Aber so manches Ding war auch als spannender Fund für eine phantasievolle Geschichte geeignet. Und einige Objekte wurden sogar für eine neue Bestimmung aufbewahrt. Ich war damit beschäftigt, die Erkenntnisse der Suche mit den entstandenen Fotos und den visuellen Eindrücken zu kombinieren, damit ein Bild die Aussagekraft der ganzen künstlerischen Arbeit in einem einzigen Sujet vereint und als Symbol für Aufmerksamkeit projiziert werden kann.

Als ich eine Woche später meine Spaziergänge wieder aufnahm, waren die Gräser an den Weg- und Waldrändern bereits sehr hoch gewachsen und Sträuche und Bäume komplett in saftiges Grün gehüllt. Ich war nicht mehr auf die Müllsuche programmiert und musste dennoch feststellen, dass der Müll zwischen den einzelnen Halmen des Grases, im Vergleich zu den Vorwochen, nicht mehr auszumachen war. Die grüne Hülle würde also nun bis zum kommenden Herbst keine Unterstützer gegen die Umweltsünder mehr rekrutieren können.

Alle 168 Fotos wurden, nach den dokumentierten Schritten zum nächsten Mülleimer, aufsteigend sortiert und zu einem kompletten Einzelbild aneinandergereiht. Während dieser Arbeit und den Gedankengängen rund um die Wirkung des finalen Resultats, kam mir ein Bild in den Sinn, welches ich vor Jahren mit Öl gemalt hatte. Es zeigt einen Teil des menschlichen Gesichtes und konzentriert sich hierbei auf das Augenpaar, welches den Betrachter vor dem Gemälde fixiert. Der Blick ist eindringlich, irritiert, kritisch, verärgert, abwartend, fragend bzw. auf eine Antwort wartend. Es hing lange Zeit in meiner Wohnung und forderte in vielen Situationen meine Aufmerksamkeit auf diesen Blick.

Dieses Bild schien sich in meinen Gedanken für eine Symbiose aufzudrängen, denn es stützte, in einer Multiplikation mit dem finalen Bild der sortierten Gegenstände, wichtige Botschaften, die es von meinem Standpunkt aus nach dieser Erfahrung nach zu vermitteln gab: 

  • Die Komposition fördert den Wunsch, dass wir die Dinge im Leben kritischer betrachten. Uns gewissen Dingen zu widmen, die uns aus der Komfortzone locken. Dass wir uns für etwas engagieren und uns als Vorbild auch mal in die ersten Reihe stellen, um auch als Einzelperson etwas verändern zu wollen. Sich als Botschafter*in, Vorreiter*in, oder auch nur als aktive Müllsammler*in zu präsentieren und nicht einfach nur verärgert vorbeizugehen.
  • Wenn ein/e Raucher*in beispielsweise die Zigarette nach dem Genussmoment wegwirft, dann tut sie/er dies vermutlich nach einem gelebten Denkmuster, welches im Modus eines Autopiloten ausgeführt wird. Wir hinterfragen dann nicht mehr, woher die zugrundeliegende und verfestigte Gewohnheit kommt und können damit auch keine neue Schablone bilden, wenn wir uns nicht intensiv um eine Wesensveränderung bemühen. Es geht hierbei um die Offenheit, andere Blickwinkel einzunehmen und Ansichten konträrer Personen zu hinterfragen, um dann eingefahrene Gewohnheiten ab- oder neue Gewohnheiten anzutrainieren. Das erfordert aber Willenskraft, Selbstkritik und den Wunsch sich selbst verändern zu wollen, denn wir sind das, was wir denken und werden, woran wir glauben. So lassen sich auch die Kippe und die leere Zigarettenschachtel künftig durch neue Rituale ordentlich entsorgen.
  • Die Multiplikation aus dem Ölbild und der Komposition der Fundstücke unterstreicht durch die durchscheinende Silhouette vor allem den Blick in die Tiefe, unbeeindruckt von einer schillernden Oberfläche. Ein zweiter Blick, ein anderer Standpunkt zum gleichen Geschehen komplettiert die unterschiedlichen Eindrücke, Fakten und Frühwarnsysteme für aufkommende Veränderungen in spannenden Lebensräumen. Ähnlich wie der Blick hinter die Pflanzenpracht in den Wintermonaten, wo man sein Auge für unbekannte Gegebenheiten einfach schärfen kann, Dinge aufmerksam wahrnimmt und sich dann die notwendigen Impulse gibt, bisher gelebten Verhalten entgegenzusteuern. Aufmerksamkeitsstark für eine Überzeugung aufzuschreien, um Mitstreiter*innen und Wegbegleiter*innen für das große Ganze zu gewinnen, um eine Veränderung anzustoßen.
  • Diese Erfahrung, der Oberflächlichkeit den Kampf anzusagen, lässt sich aber auch auf viele andere Bereiche übertragen. Es lohnt sich, auch in zwischenmenschlichen Beziehungen die Schutzhülle fallen zu lassen, und dafür tiefe Einblicke hinsichtlich Charaktereigenschaften, Stärken und Schwächen zu gewinnen. Mutig zu sein, sich zu öffnen und Vertrauen zu leben, auch wenn uns aktuell viele Beispiele für Misstrauen, Korruption, Egoismus und das Streben nach Macht kredenzt werden. 

Damit beschließe ich dieses Projekt, welches ich im Tun selber immer wieder belächelt habe, nun mit einem Augenzwinkern, mit einer Zufriedenheit und einer veränderten Einstellung. In meinen Wanderrucksack wird es künftig eine kleine Tüte schaffen, denn das „nur“ Vorbeigehen ist wohl für längere Zeit ausradiert.